Die Befestigung der Stadt Bremgarten wurde im Mittelalter angelegt und laufend ausgebaut. Um 1550 hatte sie einen Vollausbau erreicht, der für die folgenden 250 Jahre intakt blieb (Kdm AG IV, 1967, S. 24). Mit Blick auf diese, teils heute noch vorhandene Bausubstanz sind im 17./18. Jahrhundert keine Ingenieurleistungen zu erwarten. Dennoch gibt es in der Geschichte zwei bemerkenswerte Hinweise auf Erneuerungen, welche die Anlage hätten auf den damaligen Stand der Technik führen sollen. Der erste führt zu Pater Theodor Beck (1598-1676) aus Überlingen. Er war Jesuit und verweist auf die Festungsbaukunst der Jesuiten. Der zweite zeigt einen Plan des bekannten Ingenieurs Pietro Morettini (1660-1737) aus dem Tessin. Er stand in den Jahren 1703 bis 1715 wiederholt im Dienst der Stadt Luzern.
Aus Bremgartens Stadtgeschichte
Die Stadt Bremgarten ist eine Gründung der Habsburger aus dem 13. Jahrhundert. Sie liegt auf einem Geländesporn in einer Flussschleife der Reuss im heutigen Kanton Aargau, hat also topographisch ähnliche Voraussetzungen wie Bern an der Aare oder Besançon am Doubs, nur in viel kleinerem Ausmass. Im 14. Jh. bildete sie kontinuierlich ein eigenes Territorium durch Erwerb von Hoheitsrechten über Dörfer in ihrer Umgebung, insbesondere als Folge des Aussterbens der Grafen von Habsburg-Laufenburg. Nach dem Aufruf von König Sigismund an die Eidgenossen zur Eroberung des Aargaus zuhanden des Reichs musste Bremgarten im Frühling 1415 kapitulieren, wurde aber wie Mellingen und Baden vom König für reichsfrei erklärt. Bereits im Sommer 1415 verpfändete er diese drei Städte an Zürich, worauf sie später zu Untertanen der acht alten eidgenössischen Orte wurden (HLS 1, 24-5). Im Streit um das Toggenburger Erbe schlug sich Bremgarten auf die Seite Zürichs, wurde 1443 von den Eidgenossen erneut belagert und eingenommen. Es hätte sich der Eidgenossenschaft als selbständiger Ort anschliessen können, was die Stadt aber ablehnte. Sieben Jahre später wurden ihr die früheren Rechtsverhältnisse von 1415 bestätigt. Wie Mellingen gehörte Bremgarten nicht zu den Freien Ämtern. Politisch regierte der Schultheiss, der Kleine Rat und der Rat der Vierzig. Trotz Wechsel der Vorherrschaft von den Habsburgern zu den acht eidgenössischen Orten konnte sie eine gewisse Selbständigkeit bewahren und brachte es zu wirtschaftlicher Blüte. Verkehrstechnisch lag sie günstig mit einer Brücke über die Reuss und dortigem Schiffsverkehr.
Unter Heinrich Bullinger d.Ä. wurde Bremgarten 1529 reformiert. Zwei Jahre später, nach den beiden Kappelerkriegen, wurde sie von den siegreichen fünf Katholischen Orten besetzt, kehrte zum alten Glauben zurück und durfte bis 1611 ihren Schultheissen nicht mehr frei wählen. Sie zählte damals knapp 1000 Einwohner, was sich bis um 1850 nur langsam änderte. In den Jahren des Ancien Régime stagnierte das politische und wirtschaftliche Leben. Wie berichtet wird, schloss sich die Bürgerschaft gegenüber Zuzügern vermehrt ab, ohne dass aber ein Patriziat entstand (HLS 2, 677-9). Ausserdem boten die mittelalterlichen Mauern genügend Lebensraum, sodass der Grundriss aus der Zeit der Habsburger nicht erweitert wurde. In beiden Villmergerkriegen (1656 und 1712) musste die Stadt die Besatzungstruppen der katholischen Orte aufnehmen. Nach deren Niederlage wurde sie bis 1717 von Berner Truppen besetzt. Ab 1712 stand Bremgarten, zusammen mit dem unteren Freiamt und der Grafschaft Baden, unter der Herrschaft von Bern, Zürich und Glarus. Die unterlegenen katholischen Orte wurden von der bisher Gemeinen Herrschaft ausgeschlossen, was die Spannungen innerhalb der Eidgenossenschaft verstärkte und ihren Zusammenhalt erneut gefährdete.
Militärische Wehrbereitschaft der Stadt
Die Stadt folgte ihren Stadtherren, anfänglich den Habsburgern und später zu den Kriegen der eidgenössischen Heere. Der letzte bekannte Auszug erfolgte 1653 zur Unterstützung der Stadt Luzern (Bürgisser 1989, S. 22-25). Es war ein Fähnlein von hundert Mann unter dem Kommando von Hauptmann Johann Mutschli, bewaffnet mit Musketen und Hellebarden. In Friedenszeiten waren ein Hauptmann mit Fähnrich und Wachtmeister beauftragt, für Ausrüstung und Ausbildung der Mannschaft zu sorgen. 1674 hatte die eidg. Tagsatzung bestimmt, dass die Stadt stets eine Truppe von hundert Mann bereitzuhalten habe.
Ausrüstung und Bewaffnung sind im 17. Jahrhundert aus der Geschichte des Bremgarter Zeughauses ziemlich genau ersichtlich (Bürgisser 1981). Sie sollten sowohl zum Auszug ins Feld als auch zur Verteidigung der Stadt eingesetzt werden können. Unter dem Eindruck der Kriegsnachrichten, vor allem im nahen Fricktal, beschaffte Bremgarten 1633 zwei weitere Geschütze und verfügte nun über deren vier. Ein Jahr später liess die Stadt aufgrund der konfessionellen Spannungen ihre Bereitschaft von zwei Experten begutachten. Es waren dies Josef Amrhyn (1589-1645) und Theodor Beck (1600-1676). In ihrem «Memorial» machten sie ausführliche Vorschläge zur Verbesserung von vorhandenen Feuerwaffen, Munition und Vorratshaltung. Amrhyn war Offizier und forderte eine neue Aufstellung der Geschütze, während der Jesuitenpater Beck bauliche Veränderungen an der Stadtbefestigung vorsah. Die Stadt fasste die neuen Anordnungen in einem technischen Bericht, den «notae», zusammen. Sie betrafen nicht nur die groben Geschütze, wie «Stuck», Mörser und Doppelhaken, sondern auch deren Unterhalt, Munition (Kugeln aus Stein oder Eisen), Pulver, Zubehör und mit Nachdruck die Ausbildung der Büchsenmeister. In den folgenden Jahren wurden nochmals zwei Geschütze zugekauft. Der von den Experten empfohlene Neubau des Zeughauses erfolgte 1640/41.
Die erwähnten Vorschläge von Theodor Beck zur Stadtbefestigung (nach Ostern, im April 1634 eingereicht) sind schriftlich überliefert. Sie enthalten baupraktische Verbesserungen an den bestehenden Wällen, Gräben, Mauern, Türmen und Toren. Sie bezwecken den Schutz der Schützen, den zielgerichteten Einsatz ihrer Waffen und die Kontrolle des Stadtzugangs durch die Tore. Mittel sind zweckmässige Schiessscharten oder Geschützlöcher, Brustwehre, Abtragung von Turmdächern, Errichtung von Palisaden entlang der Gräben, Reparatur von Stiegen und Wallgängen. Ob sie ausgeführt wurden, sei nicht mehr zu ermitteln (Merz 1905, 146). Sie sind aber auf die vorhandene Bewaffnung abgestimmt. Eine Flutung der Gräben oder ein «Abwerfen» der Brücke wird hier nicht erwähnt. Ebenso wenig erkennbar ist ein Bezug zur damals modernen, von der Mathematik hergeleiteten Theorie des Festungsbaus.
Weitere Gefährdungen sah Bremgarten im thurgauischen Uttwiler Handel (1644-1651), im Bauernkrieg (1653) und im Ersten Villmergerkrieg (1656). Für ihre Verteidigung revidierte die Stadt in diesen Jahren jeweils den Plan für den Einsatz von Mannschaft und Bewaffnung. Erst 1684 dann verstärkte sie ihre Feuerkraft um zwei weitere Geschütze, hergestellt in Zürich. Es war vor allem der Stand Luzern, der auf die Verstärkung der Wehrbereitschaft drängte. So bot er Bremgarten an, seine Fachkräfte der Artillerie, also Feuerwerker und Büchsenmeister, in Luzern ausbilden zu lassen. Im gleichen Bestreben erstellte Pietro Morettini 1710 den Plan für eine moderne Stadtbefestigung. Dessen Ausführung wäre aber weder finanziell zumutbar noch innert nützlicher Frist realisierbar gewesen.
Im Verlauf des Zweiten Villmergerkriegs kam es am 26. Mai 1712 vor Bremgarten zu einem Gefecht, bei dem die katholischen Orte den Berner und Zürcher Truppen unterlagen («Staudenschlacht»). Die Besatzung in Bremgarten stand unter dem Kommando des Zuger Oberstleutnants Johann Jakob Muos (HLS 8, 875). Kampflos übergab er die Stadt den Bernern und musste seine Truppen sofort abziehen. Die neuen Kommandanten verlangten von ihm ein vollständiges Inventar des Zeughauses. Aufgeführt sind 12 Kanonen, 3 Mörser, 18 Doppelhaken, 340 Gewehre, wovon die meisten auf Standorte und Bürger verteilt waren, sowie Pulver, Kugeln und genügend Lunten. In den folgenden Wochen beschlagnahmten die Zürcher und Berner dieses Arsenal sowie die Waffen in den umliegenden Vogteien, liessen sie ins Zeughaus abliefern und einen Teil davon später nach Brugg abtransportieren. Die Stadt blieb bis 1717 besetzt und erhielt ihre Geschütze nie wieder zurück.
Jesuiten für Seelsorge und Schule nach Luzern berufen
In den reformierten Städten hatte die Reformation des christlichen Glaubens auch das Schulsystem belebt. Die neuen Schulen für Theologen verlangten nach einer Reform der bestehenden Lateinschulen. Neben Latein wurde Griechisch, Hebräisch und das Neue Testament unterrichtet. So sollten die Schüler auf den Besuch einer Akademie oder Universität zum Studium der christlichen Lehre vorbereitet werden. In den katholischen Orten förderte Kardinal Karl Borromäus (1538-84) die geistige Erneuerung, indem er sich unter anderem für die Ausbildung des Klerus einsetzte. In Mailand gründete er das Collegium Helveticum (1579) und in Ascona das Collegio Papio (1584). Auf seine Initiative hin berief die Stadt Luzern 1574 die Jesuiten nach Luzern. Entsprechend dem Ziel ihres Ordens waren sie bekannt für ihr Wirken in Schule und Seelsorge. Es war ihre erste Niederlassung in der Schweiz, der weitere folgten (HLS 6, 791). Den Schulbetrieb konnten sie aber erst 1577 nach Intervention von Schultheiss Ludwig Pfyffer (1524-94) aufnehmen.
Berichtet wird, dass in Luzern um die Mitte des 16. Jahrhunderts ein allgemeiner Sittenzerfall vorherrschte, vor allem beim Klerus. Rasch hatten die Jesuiten den Ruf erlangt, dass sie dem entgegenwirkten (Dula 1842). Ihr Orden war bekanntlich erst 1540 vom Papst anerkannt worden. Dem Gelübde der Armut verpflichtet erhielten sie finanzielle Unterstützung durch Vergabungen, Erbschaften oder in Form von Liegenschaften. Innerhalb von etwa 100 Jahren konnten sie ihre Stellung festigen, was sie mit dem Bau ihrer barocken Kirche (1667-77) zum Ausdruck brachten.
Die Jesuiten lebten in Hausgemeinschaft. Um 1630 zählten sie etwa 20 Personen, wovon 12 Patres und die übrigen Fratres oder Laienbrüder waren. Einen Chorgesang wie beispielsweise die Klöster nach benediktinischer Regel pflegten sie nicht, trugen auch kein Ordenskleid. Auffallend ist, dass sich die meisten der Lehrer nur wenige Jahre in Luzern aufhielten. Dies entsprach dem Orden, der seine Mitglieder für ihr Einsatzgebiet beweglich halten wollte (Studhalter 1973).
Die gesellschaftliche Entwicklung wie Aristokratisierung und Tendenz zu Staatskirchentum führte Ende des 17. Jahrhunderts zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Orden und patrizischer Regierung. Es ging um Geldforderungen, Schulden und «liegende Güter». Der Streit, geführt mit Empörungen und Beschimpfungen, flaute 1711 etwas ab, als die Jesuiten versprachen, ohne öffentliche Hilfe auszukommen. Trotzdem waren sie zeitweise wieder auf die «Gutmütigkeit der Regierung und des Publikums» angewiesen. 1773 wurde der Orden vom Papst aus politischen Gründen aufgehoben, 1814 dann aber wieder zugelassen. Auf die Verhältnisse in Luzern hingewiesen hatte der Luzerner Pädagoge Franz Dula in seiner Denkschrift «Zur Geschichte der Jesuiten in Luzern». Sie erschien 1842, als eine erneute Berufung in Erwägung gezogen wurde.
Zum Aufbau des Kollegiums in Luzern als Jesuitenschule
Gemäss Stiftungsbrief des Kollegiums in Luzern von 1577 wurde der Unterricht «Humaniora» genannt und während vier Schuljahren (classis) vermittelt. Erteilt werden sollte er in Griechisch und Latein. Der Lehrplan enthielt Grammatik und Literatur, wobei die Lehrer weitgehend frei bzw. an die Vorgaben ihres Ordens gebunden waren. Nur sollten sie ihre Schüler auch zu religiösem Leben anhalten. Das Eintrittsalter betrug 8-9 Jahre für Knaben, die in der Nähe bei ihren Eltern wohnten, und 12-13 Jahre für Knaben, die von auswärts kamen.
Ziel war allerdings seit 1574 der Betrieb des Kollegiums mit einer höheren Schule zur Ausbildung des Klerus. Erreicht wurde es ab 1599 mit einem Angebot in zwei Fakultäten, einer philosophischen mit propädeutischer Funktion und einer theologischen mit dem Zweck der praktischen Wissensvermittlung. Dieser Ausbau war nicht unbestritten, denn er erforderte Geldgeber und im Orden war das Personal knapp. Ein besonderes Merkmal der jesuitischen Bildung sind die Schultheater als Beitrag. Sie vermittelten den Stoff sehr anschaulich und hinterliessen bei der Bevölkerung oft einen tiefen Eindruck. In Luzern sind sie seit 1579 bezeugt. Sie gelten als Beginn der dortigen Theatertradition und von Barockkultur allgemein.
Die Beziehung zum Festungsbau findet man an der philosophischen Fakultät. Anfänglich war es nur eine Lehrperson, die hier zeitweise auch Dialektik unterrichtete. Während des Dreissigjährigen Kriegs kamen vertriebene Jesuiten als Flüchtlinge nach Luzern. So konnte 1633-1636 ein dreijähriger Kurs in Philosophie aufgebaut und 1634 um das Fach Mathematik ergänzt werden. Teilgenommen hatten 8 Schüler des Ordens und 31 externe Studenten. Zu einer Dauereinrichtung wurde der Philosophiekurs allerdings erst zehn Jahre später, als die Finanzierung gesichert war. Die Zahl der Hörer an dieser höheren Schule schwankte um 20 Studenten, während die untere Stufe der Humaniora von etwa 300 Schülern besucht wurde (Studhalter 1973).
Theodor Beck aus Überlingen
Der in Bremgarten erwähnte Jesuitenpater Theodor Beck wurde 1598 in Überlingen am Bodensee geboren. 1618 war er in den Orden der Jesuiten aufgenommen worden. In Freiburg i.Br. hatte er am Kolleg der Jesuiten Mathematik gelehrt und war in den Jahren 1630/31 Dekan der philosophischen Fakultät. Von dort vertrieben kam er als «Missionär» am 5. Januar 1633 für die Seelsorge nach Luzern. Ab 1634 dann unterrichtete er Mathematik am Jesuitenkolleg. Bereits am 23. Januar 1636 zog er weiter nach Rom. Ende 1637 wurde er Beichtvater und Berater des Malteser-Ritters Friedrich von Hessen-Darmstadt (1616-82). Ihn begleitete er während mehr als 30 Jahren u.a. nach Malta, La Goletta (Tunesien), Italien und Spanien. Er verstarb 1676 im Ordenshaus in Rom.
Friedrich von Hessen-Darmstadt war der jüngste Sohn des protestantischen Landgrafen Ludwig V. Seine höfische Herkunft führte ihn schon früh nach Italien, Frankreich und England. In Rom kam er 1634 in Kontakt mit der Kurie, begeisterte sich für den Orden der Malteser und konvertierte 1637 zur katholischen Kirche. Sein Beichtvater war der Jesuit und Universalgelehrte Athanasius Kircher (1602-80), bis dieser an das Collegio Romano der Jesuiten nach Rom berufen wurde. Dessen unmittelbarer Nachfolger wurde Theodor Beck, was im Briefwechsel seiner Vorgesetzen mit Kardinal Francesco Barberini belegt ist. Beck wird beschrieben als ein Mensch mit bemerkenswerter Begabung und einwandfreier geistiger Haltung, der sich schon mehrfach für diese Stellung als geistlicher Berater ausgezeichnet habe (De Lucca 2012, 204-6). Zu seiner Meinung über das abenteuerliche, luxuriöse Leben des späteren Kardinals Friedrich von Hessen-Darmstadt, dem schliesslich hochverschuldeten Bischof von Breslau, ist hier nichts weiter bekannt.
Kurz war der Aufenthalt von Beck in Luzern. Gemäss Lehrplan sollte er in der Mathematik die Elemente Euklids erklären, konnte aber auch Themen wie Geographie oder Meteorologie wählen. Beck hatte sich besonders für den Festungsbau interessiert. Unter seiner Leitung liess er von seinem Luzerner Schüler Erasmus Franz von Hertenstein (1618-54) eine Dissertation ausarbeiten mit dem Titel «Architectonica militaris defensiva, oppugnata ac defensa, Lucernae. Auspiciis Theodorici Baegk». Gedruckt wurde sie 1635 bei Johann Häderlin, der in diesem Jahr eine ständige Druckerei eingerichtet hatte. Das Werk gilt als eines der ersten Luzerner Drucke und die Druckerei gedieh dank zahlreicher Drucke für die Schulen bald zu hoher Blüte (Studhalter 1973, 129).
Die Deutsche Digitale Bibliothek gibt von Theodor Beck noch ein früheres Werk an mit dem Titel «Tubus Optico Geometric[us]: Novus Disputatus in Archiducali Universitate Friburgo-Brisgoia», gedruckt 1632 bei Theodor Meyer in Freiburg i.Br. Als Vorsitzender steht der Mathematikprofessor in der Schreibweise Theodorich Baegk (1599-1676). Respondent ist Mathematikstudent Johann Caspar Helbling. Eine wissenschaftliche Einordnung dieses Werks steht bisher noch aus.
Dass Beck in Luzern weiteren Einfluss hatte, wird vermutet. Der Luzerner Ritter Plazidus Meyer (1631-93) war 1649 in den Dienst der päpstlichen Schweizergarde in Rom eingetreten und später Generalingenieur des Kirchenstaats geworden. Als 11jähriger ist er 1642 im Schülerkatalog des Jesuitenkollegiums aufgeführt. So kann es sein, dass er von Becks Schrift zum Festungsbau und seinen Ideen angeregt worden ist (Dommann 1933).
Jesuiten und der Festungsbau
Festungsbau war in Luzern nicht ein regulärer Teil des Mathematik-Unterrichts. Viel eher entsprach er dem Spezialgebiet des Dozenten, der diese Theorie möglicherweise als Angewandte Mathematik rechtfertigte. Becks «Architectonica militaris» von 1635 hingegen war im deutschsprachigen Raum die erste gedruckte Publikation der Jesuiten zu diesem Thema. Ihr folgte nur noch jene von Jacques Honoré Durand, 1636 in Graz erschienen (Oechslin, Büchi, Pozsgai 2018, 665-7). Anders sah es an Europas kriegsführenden Fürstenhäusern aus.
Im Sinne des Ordensgründers Ignatius von Loyola (1491-1556) verstanden sich seine Nachfolger als Erneuerer der katholischen Kirche durch Predigt, Mission und Bildung. 1599 hatten sie ihr Bildungssystem in der «Ratio studiorum» formalisiert und innert kurzer Zeit zahlreiche Schulen gegründet. Auf diesem Weg erreichten sie vor allem die Söhne von Adligen, ihren Geldgebern, sowie andere Schichten mit höherer Bildung. Nach internen Auseinandersetzungen sollte auch Mathematik zum Lehrplan gehören. Gleichzeitig wurde um einen gerechten Krieg gestritten. Diesbezüglich war der Orden anfänglich zurückhaltend, entwickelte aber ab 1600 eine religiöse Stossrichtung in militanter Form. Ein Ausdruck davon war es, ihre mathematische Expertise für den Festungsbau einzusetzen. Als Feinde galten die «häretischen Protestanten und die ungläubigen Türken», in Frankreich die Hugenotten. Dies erfolgte nicht zuletzt im Interesse der herrschenden Machthaber, welche den Erfolg der Jesuiten bereits als Konkurrenz zu den führenden Ingenieuren anerkannten (De Lucca 2012).
Gleichzeitig zu Theodor Beck intensivierten namhafte, mathematisch begabte Jesuiten ihre Veröffentlichungen zum Festungsbau. Vom Orden wurde dies nicht überall gebilligt und man besann sich auf die Ideen ihres Gründers. 1648 verbot der Ordensgeneral Vincenzo Carafa (1585-1649) dieses Thema in Forschung und Lehre. Einerseits seien Befestigungen ein Ausdruck von Gewalt und Unterdrückung, andererseits sollten sich die Jesuiten aus Feindschaften, insbesondere aus künftigen militärischen Auseinandersetzungen heraushalten. Trotz dieses Verbots, erlassen zur Zeit des Westfälischen Friedens, erschienen weitere Werke und vereinzelt dann wieder lokale Verbote.
Die Jesuiten verbreiteten ihre Werke in ihren Kollegien und in den Bibliotheken der Herrscherhäuser. Sie waren nicht nur aktiv in Frankreich, Portugal und Italien, sondern auch in überseeischen Ländern, wo sie Missionen betrieben. Eine führende Stellung hatten sie in Spanien mit dessen Kriegsschauplätzen in den Niederlanden und in Süditalien. Zahlreich waren ihre Traktate zur Festungsliteratur. Einen Einblick gibt zum Beispiel die prächtige Bibliothek von Palermo, wo auch Beck auf der Durchreise sein Buch platziert hatte. Bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jh. verfügte sie neben anderen Büchern einen Bestand von 185 Bänden zum Thema Festungsbau. Als Autoren vertreten sind die damals wichtigsten Militärtheoretiker, nicht nur Jesuiten. So hatten die Professoren einen breiten Zugang und konnten ihren Studenten das Fachgebiet kompetent vermitteln. Bei dieser Fülle gefragt waren Kompendien, die als Handbücher zur Ausbildung und im Felde dienen sollten. Bekanntestes Beispiel ist die «Escuela de Palas», basierend auf dem Mathematiker José Zaragoza y Vilanova und verfasst von Diego de Guzman, Marquis de Leganés III., in Mailand 1693 erschienen (De Lucca 2012, 315-334).
Von Interesse ist die Kritik eines Sébastien le Prêtre de Vauban (1633-1707). Nach Vaubans Meinung waren ihre Werke zu theoretisch. Was ihnen fehle, sei der Bezug zum Gelände und die praktische Erfahrung (De Lucca 2012, 331). Für diesen Teil der Arbeit waren Ingenieure gefragt. Auf jeden Fall aber hatten die Jesuiten mit ihren Traktaten erreicht, dass Festungsbau – auf dem Weg über Mathematik – zum Thema in der gebildeten katholischen Oberschicht wurde. Der Ingenieur und Militärtheoretiker Johann Jakob Werdmüller (1644-1695) erfasste solche Werke der Geistlichen mit dem Ausdruck «Abbé-Literatur», vgl. sein «Schauplatz der alten und neuen Fortifications-Maximes» (1691). So verfügten die Adligen über fundierte Kenntnisse gegenüber den Ingenieuren, wenn diese sich um eine Stellung am Hof bewarben (Bürger 2013, 388-401). Im Gegenzug verstärkten sie den Druck auf die Jesuiten, den Festungsbau an ihren Kollegien zu unterrichten.
Ingenieur Pietro Morettini in Bremgarten
Zurück zum zweiten Hinweis aus Bremgarten: Pietro Morettini (1660-1737) war 1703 mit seiner Familie aus dem Dienst in den Niederlanden nach Locarno zurückgekehrt, wo er mit dem Bau seines eigenen Hauses begann (heute «Palazzo Morettini» genannt). Mit grosser Wahrscheinlichkeit hatte er sich schon damals dem Kriegsrat von Luzern für den Dienst als Ingenieur der katholischen Kantone zur Verfügung gestellt. Ein erstes militärisches Projekt erstellte er 1708 für eine neue Befestigung von Rapperswil, gezeichnet von Matthias L. Kaufflin, Ingenieur aus Einsiedeln. Im folgenden Jahr inspizierte er die Städte Freiburg und Solothurn. An der «Geheimen Conferenz von Luzern, Freiburg und Solothurn und der Republik Wallis» vom 18.-20. November 1709 in St. Urban beschlossen die Teilnehmer eine Vereinigung der Kräfte angesichts der Bedrohung durch die reformierten Stände. Ausser Alarmierung, Truppenaufgebot und Erstellen einer Landkarte gehörte wo nötig ein Ausbau verschiedener Städte in ihrem Umkreis dazu. Für den Fall eines Rückzugs sei Sursee geeignet und zu verstärken. Freiburg empfahl «einen Ingenieur aus Locarno, der vorzügliche Fachkenntnisse habe». Luzern willigte ein, ihn nach Sursee zu berufen, von wo aus er dann für Solothurn und Freiburg zur Verfügung stünde (Abschiede 1882, 1567-9). Überliefert sind Morettinis Pläne für Sursee, Bremgarten, Baden und höchstwahrscheinlich auch für Willisau und Mellingen (Viganò 2007, 296). Nach Ausbruch des Zweiten Villmerger Kriegs 1712 beteiligte sich sein erstgeborener Sohn auf Seiten der katholischen Kantone. Morettini selbst erstellte 1714 noch Pläne zur Erneuerung der Luzerner Stadtbefestigung, bevor er von den Behörden dann 1715 seine Entlassung erhielt.
In den Jahren 1703 bis 1715 hatte Morettini zahlreiche weitere, auch zivile Arbeiten geleitet. Bekannt sind der Bau des Urnerlochs (1707/08) und die «Meienschanz» in Uri (1710). In diesen zwölf Jahren festigte er seine Stellung in Locarno, dachte aber immer wieder an einen Posten als Chefingenieur in den Niederlanden, Mailand, Venedig, Moskau und Genua. 1717 dann wurde er als «Erster Ingenieur und Direktor der Befestigungen im Rang eines Obersten» nach Genua berufen. Im Vergleich zu Theodor Beck war Morettini kein Militärtheoretiker, hatte auch keine Höhere Schule besucht. Im Alter von 17 Jahren war er mit seinem Vater, einem Steinmetz aus dem Tessin, nach Besançon gezogen, wo die Zitadelle unter der Leitung von Vauban im Bau war. Auf diesem Weg hatte er sich die militärische Bautechnik auf Baustellen und direkt im Krieg angeeignet, um 1695 nach einem Seitenwechsel zum «Ingenieur der Generalstaaten» aufzusteigen. Morettini gehörte zu den gefragten «praktischen Ingenieuren».
Der Exkurs auf den Spuren der beiden Hinweise aus Bremgartens Geschichte zeigt, dass Becks Unterricht zum Festungsbau am Jesuitenkollegium in Luzern nur eine kurze, lokale Ausnahme war. Andererseits steht Morettinis Plan für den ganzen Abschnitt im Dienst der katholischen Eidgenossen aus dem wechselvollen Leben dieses grossen Ingenieurs.
1. 2. 2023 / B.M.