Das Gutachten für das erste Eisenbahnnetz der Schweiz wurde 1850 von den englischen Ingenieuren R. Stephenson und H. Swinburne erstellt. Stephenson ist der bekannte Robert Stephenson. Die Stadt Zürich ehrt ihn seit 2007 mit dem „Robert-Stephenson-Weg“, doch wer ist H. Swinburne?
Am 14. Dezember 1849 beschliesst die Schweizerische Bundesversammlung den Beizug von unbeteiligten Experten für den Bau der Eisenbahnen in der Schweiz. Darauf beruft der Bundesrat die Herren Stephenson und Swinburne. Mit Datum vom 7. Juni 1850 erteilt er ihnen den Auftrag, ein Gutachten zu einem zweckmässigen Eisenbahnnetz für die Schweiz zu erstellen. Er will Auskunft über die sinnvollsten Linienführungen unter Berücksichtigung des Ertrags, des Binnen- und Transitverkehrs sowie der Landesverteidigung. Anzugeben sei die zeitliche Priorität und eine sorgfältige Bewertung bei Konkurrenzprojekten. Er erwartet schliesslich die Meinung zur Machbarkeit eines Schienenwegs über die Alpen, insbesondere eine Prüfung des Lukmanierbahnprojekts.
Wie der Biographie von Robert Stephenson (1803-59) zu entnehmen ist, war Henry Swinburne ab 1843 einer seiner Junior-Partner im Westminster-Büro in London. Von dort aus wurden Dutzende von Eisenbahnprojekten in England bearbeitet. Im Juli 1844 wurde zur besseren Verbindung von London und Dublin die Chester & Holyhead Railway gegründet und Robert Stephenson zum Chef-Ingenieur ernannt. Die neue Linie misst 85 Meilen (136 km) und führt der Küste von Nord-Wales entlang, wo bereits Thomas Telford die Holyhead Road erbaut hatte. Stephenson setzte Stellvertreter und örtliche Bauleiter ein. Er selbst konzentrierte sich mehr auf den Brückenbau mit der bekannten Conway-Brücke (1848) und Britannia-Brücke (1850). Die Bauzeit der Bahnlinie dauerte von 1845-49.
Besondere Herausforderungen stellte die Küste mit dem Felsvorsprung bei Penmaen Mawr. Henry Swinburne war örtlicher Bauleiter. An der Sitzung der Institution of Civil Engineers von 18. März 1851 berichtete er über die Technik von Stützmauern, die das doppelspurige Bahntrassee tragen und gegen die Einwirkungen des Meeres schützen sollten. Die anwesenden Ingenieure beurteilten die Lösungen anhand ihrer Erfahrungen bei englischen Küsten in Kent und Alderney, aber auch in Venedig, Ostende und Malta. Swinburne erhielt für seine Leistung die Telford-Silbermedaille. Stephenson bemerkte dazu, dass beim Eisenbahnbau wenn möglich die Notwendigkeit eines Kampfs gegen das Meer vermieden werden sollte.
Zurück zur Eisenbahnfrage in der Schweiz: Für die Expertise hatte der Bundesrat nicht Swinburne berufen, sondern Thomas Longridge Gooch (1808-82), doch dieser war krankheitshalber verhindert. So reist Swinburne im Sommer 1850 in die Schweiz nach Genf. Begleitet von Schweizer Ingenieuren begibt er sich in den nördlichen Landesteil und nimmt die für ihn bereit gestellten Daten entgegen. Dazu gehören Karten, Längenprofile, Kostenberechnungen und Bevölkerungszahlen. Am Bodensee trifft er Stephenson mit seinem Partner George Bidder (1806-78). Sie ziehen weiter durch das Rheintal nach Chur. Von dort suchen sie Alpenübergänge zwischen Splügen und Gotthard auf, gelangen nach Biasca, kehren zurück nach Luzern und statten dem Bundesrat in Bern einen Höflichkeitsbesuch ab. Am 12. Oktober 1850 geben sie in Genf ihren Bericht ab. (Übersetzt in: Schweiz. Bundesblatt von 1850, 2. Jg., Bd. III, S. 432-496).
Stephenson war in Europa ein gefragter Experte. Sein ehrgeizigstes Ziel aber war eine bessere Verbindung zwischen England und Indien. Er sah dies in einer Bahnlinie zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer. Nach Kontakten mit dem Osmanischen Vizekönig von Ägypten baute er mit seinen Ingenieuren in den Jahren 1851-56 die Linie Alexandria-Kairo. Als Oberingenieur setzte er Michael Borthwick (1810-57) ein. Henry Swinburne war örtlicher Bauleiter mit Sitz in Kairo. Henry Rouse hatte diese Funktion mit Sitz in Alexandria. Dazwischen lag die wichtige Brücke Kafr el-Zaiyat über den Nil in der Nähe von Tanta. Stephenson baute sie als Rohrbrücke, ähnlich wie seine Britannia über die Menai Strait.
Henry Swinburne (1821-55) war einer der leitenden Ingenieure im Kader von Robert Stephenson.