In den Wörterbüchern wird heute unterschieden zwischen den Ingenieuren seit der Renaissance und dem modernen Berufsbild. In der Schweiz entsprechen die ersten Ingenieure den Spezialisten für die Kriegsbaukunst. Die Wandlung zum modernen Ingenieur setzte vor allem ein mit der Ausbildung, den Fähigkeiten und den sich in die Breite entfaltenden, zivilen Arbeitsgebieten.
Im deutschen Sprachraum
Im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm von 1877 steht folgendes zum Stichwort Ingenieur: «dieses heute eingebürgerte Fremdwort für Kriegsbaumeister, Feldmesser, im 17. Jahrhundert als Bild für einen fein berechnenden Menschen überhaupt.» (Grimm 1877) Vier Jahrzehnte früher hiess es zu den Ingenieurwissenschaften: Darunter «pflegt man insbesondere die Fortification (mit Inbegriff des Belagerungskriegs) und das Landvermessungsgeschäft mit allen dahin gehörigen Verrichtungen zu nennen. Die Ingenieurwissenschaften machen zwar einen Theil der Kriegswissenschaften aus und stehen mit ihnen in so genauer Verbindung, dass diese der Ingenieur mit seinen Studien vereinigen muss. Weil aber die Kriegsbaukunst eine genaue Kenntnis der Architektur überhaupt, und das Landvermessungsgeschäft eine sehr gründliche theoretische Vorbildung (hauptsächlich ein tieferes Studium der mathematischen Wissenschaften), verbunden mit grosser Übung und technischer Fertigkeit, namentlich im Aufnehmen und Zeichnen, erfordern, die zu erlangen nur Einzelne Zeit und Gelegenheit haben, so wurden diese Wissenschaften von jeher den diesen Fächern sich ausschliesslich widmenden Ingenieurs überlassen. Die Ingenieurs bilden daher auch ein besonderes Corps, und man unterschied in Frankreich sogar Ingénieurs de place und Ingénieurs géographes, was jedem Einzelnen anwies, sich in seiner Sphäre vorzüglich zu vervollkommnen, die allerdings zu weitumfassend ist, um eine vielseitigere Tätigkeit zu gestatten. Überall schliessen sich im Kriege die Ingenieurs dem Generalstabe an, werden bei allen Entwürfen, die in ihr Fach schlagen, zu Rathe gezogen und erhalten die ihrer individuellen Geschicklichkeit angemessenen Aufträge.» (Brockhaus 1831) Das Conversations-Lexikon von 1817 enthielt noch den Zusatz: «Ausserdem gehören zur Ingenieurkunst noch eine Menge Hülfswissenschaften, … , ferner Geodäsie und Architektur, und insbesondere auch die Messkunst; daher auch nicht blos der der Kriegsbaukunst Beflissene, sondern auch jeder Feld- und Landmesser Ingenieur genannt wird.» (Brockhaus 1817)
In der Oekonomischen Enzyklopädie von Johann Georg Krünitz hiess es 1784: «Ingenieur, aus dem Franz. Ingénieur, ein Kriegs-Baumeister, eine Person, welche in der Kriegsbau-Kunst erfahren ist, besonders so fern sie dieselbe vermöge ihres Amtes ausübet; einer, der die Befestigung, zum Angriff oder zur Vertheidigung eines Platzes gehörigen Werke und Arbeiten angibt und anordnet; ein Zeugmeister, in der Schweiz ein Schanzenherr, L. Architectus militaris.» (Krünitz 1784)
Wie die Lexika zeigen, wurde das Wort «Ingenieur» aus dem Französischen in die deutsche Sprache übernommen. Bei Krünitz heisst es weiter: «Das Wort Ingenieur ist in denen Provinzen, wo die gemeine römische Sprache gebräuchlich war, als: in Frankreich, Spanien und Italien, (wo Ingenia die Machinas bellicas & Tormenta, und nach erfundenem Pulver das grobe Geschütz, auch andere Kriegswerkzeuge und Kriegsmaschinen bedeutete,) aufgekommen, aus Frankreich nach England übergegangen, und nebst vielen anderen ausländischen Benennungen in das Militär-Wesen aufgenommen worden. Im Alt-Französ. heisst er Engignours, von Ingenium, Fr. Engin, und Ingenieux; im mittlern Lat. Ingenitor, Ingeniosus, Magister ingeniorum. Die Machinarii hiessen bey den Engländern Enginier, bey den Italiänern Ingegniere, bey den Spaniern Ingeniero, bey den Niederländern Enginemeister, Engienier.» Bemerkenswert ist der Hinweis auf die Ingenia als Kriegsmaschinen jeglicher Art.
Im französischen Sprachraum
Von Interesse ist somit die Frage, was im 18. Jahrhundert in Frankreich unter Ingenieur verstanden wird. In der «Encyclopédie, ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une société de gens de lettre» heisst es in Band 8 aus dem Jahr 1765 auf Seite 741: «Ingénieur, s.m. (Gram.) Nous avons trois sortes d’ingénieurs; les uns pour la guerre; ils doivent savoir tout ce qui concerne la construction, l’attaque & la défense des places. Les seconds pour la marine, qui sont versés dans ce qui a rapport à la guerre & au service de mer ; & les troisièmes pour les ponts & chaussées, qui sont perpétuellement occupés de la perfection des grandes routes, de la construction des ponts, de l’embellissement des rues, de la conduite & réparation des canaux, &c.
Toutes ces sortes d’hommes sont élevés dans des écoles, d’où il passent à leur service, commençant par les postes les plus bas, & s’élèvant avec le temps & le mérite aux places les plus distinguées.» (Diderot 1765) Dann folgt auf zwei Seiten eine längere Erklärung der Aufgaben eines Ingénieurs als Offizier, wenn er mit dem Festungsbau beauftragt ist. Erwähnt ist hier die Genie-Schule von Mézières (Ecole royale du Génie de Mézières, 1748 gegründet, in einer Schlaufe der Maas gelegen).
In einer späteren Auflage wird ergänzt: «Le nom d’ingénieur marque l’adresse, l’habileté & le talent que les officiers doivent avoir pour inventer. On les appeloit autrefois engeigneurs, du mot engin, qui signifie machine, parce que les machines de guerre avoient été pour la plupart inventées par ceux qui les mettoient en œuvre dans la guerre. Or engin vient d’ingenium; on appeloit même en mauvais latin ces machines ingenia». In dieser Anspielung auf das Latein im Mittelalter wird das Wort «Ingenieur» über den Bau von Kriegsmaschinen hergeleitet. Es wird auf das lateinische «ingenium» bezogen, was so viel bedeutet wie Scharfsinn, geistiges Talent, Witz und Vorstellungsvermögen (Vérin 1993, S. 22f).
In einem Vorläufer dieser «Encyclopédie», die Louis Moréri (1643-1680) im Jahr 1674 begonnen hatte, heisst es in der Basler Ausgabe von 1740 (tome IV, p. 722): «Ingénieurs, nom que l’on donne à ceux qui s’appliquent particulièrement à l’Architecture militaire, à cause des inventions ingénieuses qu’ils mettent souvent en usage, tant pour la fortification, que pour l’attaque ou la défense des places. Les prémiers Ingénieurs qui ont écrit de la fortification considérée comme un art particulier, ont été Ramelli & Cataneo, Italiens. Après ceux-là ont paru Jean Erard, Ingénieur de Henri IV. & de Louis XIII. Simon Stevin, Ingénieur de Maurice, Prince d’Orange, Marolois, le Chevalier de Ville, Lorini, le comte de Pagan, Allain Manesson Mallet, qui nous a donné le livre intitulé les travaux de Mars, ou l’art de la guerre, en trois volumes remplis d’érudition, avec des figures; & plusieurs autres modernes, qui ont beaucoup contribué à augmenter cet art, & à le mettre dans la perfection où il est aujourd’hui; mais de tous ceux qui ont pratiqué les fortifications, il n’y en a point qui les ait portées plus loin que M. le Maréchal de Vauban. Ses manières particulières pour l’attaque & pour la défense des places, lui ont acquis une gloire immortelle». (Moréri 1740) Von Vauban eingeführt wurde das Wort «génie» zur Bezeichnung der «Wissenschaft der Ingenieure» sowie des «Korps der Ingenieure» und deren Waffengattung (Diderot 1765. Vérin 1993, S. 189). Bemerkenswert ist in diesem Artikel, dass zehn Autoren aufgeführt sind, welche Arbeiten zum Festungsbau veröffentlicht haben.
Im italienischen Sprachraum
Zum Stichwort «Ingegneria» schreibt Giuseppe Albegna: «Mit diesem Wort wird die Kunst und der Beruf des Ingenieurs bezeichnet. Es ist nicht leicht, die Grenzen dieses Feldes abzustecken innerhalb derer sein Werk zum Ausdruck kommt. Einerseits variieren sie kontinuierlich, indem sie alle praktischen Anwendungen von Physik und Chemie – selbst bis in die heutige Zeit – umfassen, andererseits hat sich der Name dessen, was mit Ingenieur bezeichnet wurde, je nach Land und Epoche verändert. … Nach allgemeiner Auffassung wird das Wort Ingenieur von ingenium abgeleitet, was Maschine und besonders Kriegsmaschine bedeutet. … Soweit erkennbar hat sich ein Ingenieur damals vorwiegend militärisch betätigt: Schutz der Stadt mit Mauern und Wällen, Bau von Kriegsgeräten und deren Erprobung im Gefecht; … dabei wird aus dem ingeniarius ein Militäringenieur. … Weil aber ihr Wirkungsfeld sehr weitreichend und vielfältig ist, hielt Lodovico il Moro in einem Dekret von 1497 fest: architectores seu agrimensores et livellatores aquarum que omnes vulgo ingeniarii appellantur.» (Albegna 1933. Übersetzung: Bruno Meyer) Dann folgt ein längerer Abschnitt zu Bildung und Ausbildung der Ingenieure seit der Antike. Sie geschah anfänglich vorwiegend innerhalb der Familie oder im Atelier, weil es damals noch keine Schulen gab.
Im englischen Sprachraum
In der «Encyclopaedia Britannica» ist der Ingenieur auf die Kriegskunst beschränkt. So heisst es in der vierten Auflage von 1810: «Engineer, in the military art, an able expert man, who, by a perfect knowledge in mathematics, delineates upon paper, or marks upon the ground, all sorts of forts, and other works proper for offence and defence. He should understand the art of fortification, so as to be able, not only to discover the defects of a place, but to find a remedy proper for them; as also how to make an attack upon, as well as to defend, the place. Engineers are extremely necessary for these purposes; wherefore it is requisite, that besides being ingenious, they should be brave in proportion. When at a siege, the engineers have narrowly surveyed the place, they are to make their report to the general, by acquainting him which part they judge the weakest, and where approaches may be made with most success. Etc.» (Encyclopaedia Britannica; or a dictionary of arts, sciences, and miscellaneous literature; enlarged and improved. The fourth edition. Vol. III, London 1810, p. 44)
Gleichwohl gab es in Grossbritannien Personen, die sich Ingenieur nannten. «When John Smeaton described himself as a civil engineer for the first time, on the title page of his ‘Review of the Forth and Clyde Navigation’ in 1768, he did more than differentiate his calling from that of the military engineer; he identified a new profession” (Watson 1989). John Smeaton (1724-1792) war der älteste Sohn eines Rechtsanwalts in Leeds (Westyorkshire, England). In seiner Jugend pflegte er Kontakt mit einem Hersteller von Uhren und wissenschaftlichen Instrumenten. Mit 18 Jahren begann er ein Rechtsstudium in London, brach es aber nach zwei Jahren ab, wandte sich dem Instrumentenbau zu und ging 1748 erneut nach London. Dort beschäftigte er sich unter andere mit Wind- und Wasserkraft, erzielte ein bescheidenes Einkommen und wurde 1753 als «Fellow» in die «Royal Society» aufgenommen. 1755 unternahm er eine Reise nach Belgien und Holland, wo er Maschinen, Mühlen, Schleusen, Baggerungen und militärische Befestigungen studierte. Nach seiner Rückkehr befasste er sich mit dem Neubau des Eddystone Leuchtturms, seinem wichtigsten Werk. Es folgten wissenschaftliche Arbeiten, Werke der Binnenschifffahrt, Drainage von Moorgebieten (Fenlands), Brücken, Dampfmaschinen und Häfen. In seinen Projekten vereinigte er eine wissenschaftliche Sicht mit praktischer Erfahrung.
1771 hatte Smeaton zusammen mit zehn gleichgesinnten Berufskollegen die «Society of Civil Engineers» gegründet. Präsident war Thomas Yeoman (1709/10-1781) und Vizepräsident war Robert Mylne (1733-1811). Nach Smeatons Tod wurde sie in «Smeaton Society» umbenannt und so zum Vorläufer der 1818 gegründeten «Institution of Civil Engineers». In jenem Jahr hatten sich acht junge Ingenieure in London getroffen, um ihr Wissen zu erweitern, hatten aber wenig Gelegenheit dazu. Zwei Jahre später gelang es ihnen, den angesehenen Thomas Telford (1757-1834) als Präsidenten zu gewinnen. Anerkennung erhielt diese Institution im Jahr 1828 durch den «Royal Charter». Darin wird «Civil Engineering» beschrieben als «jene Kunst, die grossen Quellen der Kraft in der Natur zum Nutzen und für den Komfort der Menschen zu leiten».
Bemerkenswert ist, dass in der «Smeaton Society» noch keine Spezialisierung vorhanden war. So gehörte beispielsweise seit 1789 auch James Watt (1736-1819) dazu. Ihr Hauptzweck war der Gedankenaustausch und das persönliche Kennenlernen bei Zusammenkünften, verbunden mit einem Essen. Anders die «Institution of Civil Engineers»: sie verstand sich selbst als Berufsverband. Sie förderte dessen Ansehen durch wissenschaftliche Vorträge und Werke, die für eine Aufnahme in den Verband entscheidend waren. Doch nach und nach setzte hier die Spezialisierung ein. Als erstes Teilgebiet erschien der Maschinenbau. Im Jahr 1847 wurde in Birmingham die «Institution of mechanical engineers» gegründet. In den USA dauerte es länger. 1852 entstand die «American Society of Civil Engineers» und 1880 die “American Society of Mechanical Engineers” – beide noch heute der Berufsverband der Bauingenieure und der Maschineningenieure.
Im englischen «Engineer» steckt das Wort «engine», also die Maschine. Im Mittelalter gab es noch keinen allgemeinen Begriff dafür. Eine «machina» war damals eine stabile Holzkonstruktion, verwendet als Gerüst oder im Krieg als Rammbock, Schutzdach oder als Turm zu Belagerungen. In Einzelfällen waren es auch Tribünen oder Glockentürme. Das Prinzip «Maschine» für das selbständige Funktionieren unter Zufuhr von Energie sah man damals in Mühlen, Uhren oder Wasserkünsten. Für technische Hilfsmittel verwendete man Bezeichnungen wie instrumentum, ingenium, artificium, utensilium etc. Machina war meist nur ein Ausdruck, um Geräte mit technischen Merkmalen zusammenfassend aufzuzählen (Popplow 1996).
Fazit
Dieser kurze Rückblick in einige ausgewählte Lexika und andere Schriften zeigt, dass die Ingenieure bereits im Mittelalter hoheitliche Aufgaben übernahmen. Als Zimmerleute bauten sie dank ihres Scharfsinns Kriegsmaschinen aus Holz (ingenia genannt) für die Belagerung von Städten. Mit der Erfindung von Feuerwaffen verschob sich ihr Arbeitsgebiet hin zur Verstärkung der Stadtbefestigungen, sei es zur Verteidigung oder zum Angriff. Sie entwickelten eine eigenständige Militärarchitektur, deren besonderes Merkmal die Bastionen sind. Dazu brauchten sie Vermessung, Geschick in der zeichnerischen Darstellung, Absteckung im Gelände, Berechnung der Kosten, Devisierung und Aufsicht über die Bauarbeiten. In der Hierarchie standen sie anfänglich beim Bauhandwerk, später als Offiziere in der militärischen Befehlsgewalt. Je nach Grösse der Bauvorhaben hatten sie weitere Ingenieure und Bauleiter als Untergebene. Selbst die dritte Art der Ingenieure, jene der «Ponts et Chaussées», erfüllte in Frankreich mit dem Strassenbau eine hoheitliche Aufgabe. Und wenn in Deutschland das «Landvermessungsgeschäft» erwähnt wird, so standen diese Ingenieure teilweise ebenfalls im Dienst des Staates.
Einen eigenen Weg gingen die Ingenieure in Grossbritannien. Die «Royal Engineers» bereiteten sich auf eine militärische Karriere vor, hatten aber wenig Einfluss auf die Bildung einer Berufsgruppe. Anders die «Civil engineers»: mit ihrem Berufsverband schufen sie eine anfänglich kleine Elite beratender Ingenieure. Sie orientierten sich an den Initiativen privater Unternehmen. Für die Zugehörigkeit waren ihre Werke wichtiger als ihr Herkommen und ihre schulische Ausbildung. So ermöglichten sie einen technischen Vorsprung als eine der Bedingungen zur Industriellen Revolution.